MALE NICHTS …

Dies rät Dir einer, der seit 69 Jahren Bilder macht

Stelle in Deinem Kunstwerk nichts dar

  • was Du ebenso gut in Worten beschreiben könntest1

  • was Du ebenso gut photographieren kannst

  • was von Menschen gemacht wurde, damit es Menschen gefällt2

  • was durch Vergrößerung oder Verkleinerung seinen Wert verlieren würde3

  • mit dem Ziel, dass es Beschauern gefällt

  • mit dem Ziel, dass es Feuilletonisten “spannend” finden und darüber schreiben

Fürchte keinen Kitsch, aber male keinen Klatschmohn4

Fürchte keine Zitate von alten Meistern

Fürchte keine Kritik

Hasse Dein Bild, solange Du daran arbeitest

Der Titel eines Bildes ist fast ohne Belang, er ist eine Gedächtnisstütze und erleichtert das Wiederfinden. Gib’ Deinem Bild erst dann einen Titel, wenn es fertig ist5

Mache Deine Bilder aus so haltbarem Material, so dass sie 50 Jahre lang keine besondere Pflege benötigen; aber wichtiger ist die Haltbarkeit der Idee

Gute Kunst ist robust: Was durch einen Kratzer oder eine kleine Unsauberkeit wertlos wird, war schon vorher wertlos

Wirf Dein Bild auf eine Müllhalde und frage Dich, ob Du es wiederfindest und ob es lohnt, es wieder einzusammeln

Wenn Du diese Regeln beachtest, werden Deine Werke kein Aufsehen erregen, aber möglicherweise noch in vielen Jahren geschätzt werden

Wenn Du Deine Träume malst, kannst du diese Regeln (fast) vergessen 

Hal Jos, 2011/2013

1 Im Centre Pompidou in Paris ist ein Kunstwerk ausgestellt, ein Quader gelber Hartkäse mit einem angehefteten Schopf schwarzer Haare. Unappetitlich! Viel schlimmer: Überflüssig, da seine wesentlichen Eigenschaften mit wenigen Worten beschrieben sind.

2 Einen griechischen Tempel, eine ausdrucksstarke Maske, einen Blumenstrauß kannst Du photographieren  – aber wozu diese auf Wirkung getrimmten menschlichen Produkte als Kunstwerk darstellen? Dein Kunstwerk ware nur eine Anleihe.

3 Bei Kunstwerken auf öffentlichen Plätzen oder in repräsentativen Räumen ist oft eine Mindestgröße notwendig, damit sie auf den Beschauer wirken. Aber worauf es wirklich ankommt, ist der Informationsgehalt – der ist bei sehr großen Gemälden im Schnitt nicht größer als bei mittelgroßen. Die digitale Darstellung im Internet gleicht die eigentlich belanglosen Größenunterschiede aus.

4 Der Klatschmohn ist in der heutigen Zeit eine Art Markenzeichen vieler Malerinnen. Gerade weil er hübsch ist, gilt ein Argument entsprechend Nr.2.

5 Der Wert eines Kunstwerks ist unabhängig vom Titel. Un-Titel wie “ohne Titel Nr. xy” sind alberne Koketterien, die keine Information transportieren außer – in unserer Zeit – bei Politikern

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